Am Ende

ENTE

„Und man weiß nicht, ob die Dinge, die gelebt haben und gestorben sind, erlöst werden, ob jemand sie aufweckt, und wieder zusammensetzt, ob da ein eschatologischer Mechaniker ist, der mit dem himmlischen Schraubenzieher in ihnen pult und ihnen einen neuen und ewigen Vorrat an Pferdestärken oder Kilowattstunden einhaucht, oder ob ihre Unendlichkeit die heidnische Form der Rückkehr zu den Urquellen, vielleicht auch des Zerfalls in Elementarteilchen haben wird. „

(Andrzej Stasiuk: Winter, 2009, S. 31)
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2 Antworten auf Am Ende

  1. Helmut sagt:

    Am Ende gibt´s Leichen, so ist der Lauf dieser komischen Welt. Es kann einen melancholisch stimmen, wenn man Zeichen davon sieht, ausrangierte, vergessene Effekten. Aber die Dinge sprechen ja noch zu uns, sie erzählen von einem Gewesenen. Die klassiche rote Ente – wie lang ist das her, heute sieht man sie nur noch selten auf der Straße. The times they are a changing. Wie sie so einäugig im Grün liegt, gestrandet, nach vielen Kilometern. Welche Geschichten könnte sie erzählen? Vielleicht ist sie vor gut dreißig Jahren mit vier jungen Leuten besetzt in einer Nonstop-Fahrt nach Bordeaux gefahren worden. Die Tachos gingen noch nicht bis 240, 260, 300. Hundert, hundertzwanzig fuhr man mit der Ente. Es klapperte, es zog und es neigte sich in den Kurven. Saß man hinten konnte man vorn kaum raussehen und bekam vom dauernden Ducken einen steifen Hals. Die Knüppelschaltung zum schieben neben dem Lenkrad, das Seufzen und Keuchen des Motors. Aber sie fuhr. Fuhr tapfer, die Nacht durch, bis nach Bordeaux und dann weiter zur Atlantikküste, nach Arcachon. Die Insassen gerädert. Unterwegs noch ein Nachtfalter, der den Weg in die Ente gefunden hatte und für Panik sorgte. Aber dann Morgen und Licht und Meer. Frankreich! Die Hitze des Sandes, die schief im Ufersand hängenden Betonerinnerungen der Nazibunker, das Glitzern des Wassers. Die Arme bald kupferbraun gebrannt. Ein paar Fotos. Gefrorene Zeit. Der Salzduft des Wassers, die hohen Wellen, die auf den Strand krachten. Man fuhr mit der Ente im Winter mit Schal, im Sommer lässig mit dem Ellenbogen auf dem halb aufgeklappten Seitenfenster. Eile mit Weile. Vielleicht fuhr die Ente auch ins Elsass, über die Route de Cretes, vorbei an duftendem Heidelbeerkuchen und eiskaltem Gewürztraminer und den fantastischen Ausblicken, die schon Lenz gesehen hatte. Die Ente hatte keine Klimanlage, hatte keine Power, war nicht schnell, aber man konnte mit ihr überall hinkommen, wenn man wollte. Ich las einmal von Leuten, die mit einer Ente in der Wüste unterwegs waren. Der Getriebekasten hatte durch aufsetzen auf einen Stein einen Riss bekommen, das Öl lief aus, es drohte ein Motorschaden. Sie behalfen sich mit zerdrückten Bananen, es funktionierte. Sicher, auch eine Ente hat einmal ein Ende, die Zeiten ändern sich.

  2. Uwe sagt:

    Hallo.
    Vielen Dank für den schönen Erinnerungs-Text. Ich habe keine so prägnante Erfahrung mit der Ente gemacht. Nur manchmal in den 80er Jahren, als ich noch per Autostopp durch die Gegenden fuhr, konnte ich in ihr sitzen, nein, mich in die Weicheit dieser Sitze fläzen, den leichten Haschgeruch im Innern vernehmen und laute Rockmusik hören. Längere Strecken bin ich nie mit ihr gefahren, was schade ist, wenn man Deine Schilderung liest.
    Interessant ist, wie das Foto bei Dir einen Sog von Erinnerungsbildern auslöst, die Du zu einer kleinen Geschichte rundest. Ähnlich bist Du auch bei der „Fahrradleiche“ vorgegangen. Gefällt mir. Weiter so. Liebe Grüße, Uwe.

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