Cinémaginaire III

TulpenAm frühen Morgen ist mir sofort klar, dass ich zur Wirklichkeit nur einen Wackelkontakt unterhalte. Zu stark waren die erotischen Erregungen der Nacht, so dass alles, was nächstens passiert, nur weitere Episoden des geträumten Bilderfilms sein können, und so bleibe ich einfach liegen, dämmre vor mich hin und werfe müde Blicke ins Zimmer, zuletzt auf einen Strauß mit Tulpen. Plötzlich ist mir, als ob sich ihre Blüten wie Kamerablenden öffnen und eine Szenerie zeigen, in der ich mit einem Jungmännerclub durchs Rotlichtmilieu ziehe. Im Casino zum blasenden Engel verweigert man uns den Zutritt und so schweifen wir durch die Gassen im Funkenregen zahlloser Verführungen und enden in einem Stundenhotel, wo uns an der Rezeption eine saftige Domina erwartet. Ihr üppiges Dekolleté zeigt ein Tattoo, das ich unverzüglich in den Stammbaum ihrer Verflossenen umdeute. Das mattschwarze Kostüm klebt fest an ihrem Körper, modelliert seine zum Himmel schreienden Reize. Ihre glänzenden Haare wirken wie steife Seidentücher. Fest und unbeweglich rahmen sie ein ebenmäßiges Gesicht, dessen Blässe von einem grünen Hut mit Pfauenfeder konterkariert wird. Ihre jungen Lippen verziert ein vielversprechendes Lächeln, so täuschend echt, dass ich ausrufe: „Hier könnte es sich lohnen, ein Kabinett zu nehmen, um endlose Unionen zu feiern.“ Und so suchen wir nach den Spitzen unseres Begehrens, streifen die Siebensachen ab und ersäufen die letzten Bedenken im Alkohol. Wir bilden einen Halbkreis aus Alleinunterhaltern und würfeln um die scharfsinnliche Schöne mit den blauen Tropfenaugen. Einer tönt: „O könnt‘ ich wieder mit Flügeln in dich stoßen.“ Ein anderer retourniert: „Ach, mime nicht den Spitzel deiner fingerlosen Lust, komme lieber ins Rampenlicht und bestaune ihren Vanilleschoß.“ „Ups, jetzt geht’s hier aber arg geschwollen zu“, versuche ich die Begattungshungrigen zu mäßigen. Doch alle rätseln weiter ohne Sinn und Verstand über das A und O, leisten sich etliche unzensierte Schoten, bis das Sofa der Laster mitsamt seinen unverblümten Schlummerrollen unter dem Gewicht ihrer Anzüglichkeiten zusammenbricht und dabei Sterne auffliegen, die im Halbdunkel der Lobby leuchten. Sie, die Angehimmelte, spielt unterdessen die Hoheitsvolle, schaut unserem Stelldichein gelassen entgegen, denn sie weiß das Nötige zu tun und zu sagen, um unser Eindringen zu beenden. Und als es um Haares Breite fast geschieht und nur noch eine dünne Membran aus tanzendem Staub zwischen uns und ihren verführerischen Umrissen im Raum schwebt, spielt sich ihr Gesicht als ein Würdenträger auf, der uns zuruft: „Ich möchte lieber nicht!“, sodass wir, einer nach dem anderen, ins große Verzagen fallen. Unverrichteter Dinge und enttäuscht treten wir ab, und als ich an die Reihe komme, bilde ich mir ein, einen Peitschenschlag zu hören, aber es ist die Schlussklappe meines Regieassistenten, mit der die Vorstellung abrupt endet. Ich schminke mir die Kummertränen ab und kann das Ende dieser Tulp Fiction nicht länger mehr abwenden.

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