Neusehland

10 Jahre Spazierensehen

Er ist ein Freibeuter, der auf den Sehstraßen kreuzt. Mal kapert er Sehzeichen, auf die er zufällig stößt, mal schwojt er vor sich hin und beäugt die tummelnden Sehjungfrauen. Meist wahrt er Abstand, keine Sehmeilen, aber gerade so viel, damit alles sich im rechten Licht und Sehwinkel versammelt. Gelegentlich tauscht er mit anderen Sehleuten Geschichten aus oder hört welche, die in ihm derart mächtig widerhallen, dass er sie in Fabeln mit Sehungeheuern bannen muss. Schweigsam sind allein die Bilder, die er auf seinen Routen durch fremdvertraute Gewässer festhält. Viele von ihnen landen in Dateien, bevor sie in einer Sehbestattung enden. Einige Sehsterne jedoch verfangen sich im weltweiten Netz und zappeln in ihrer Agonie so lange, bis sie bemerkt und von anderen Sehfahrenden mit meersilbigen Kommentaren gewürdigt werden. Manchmal führt ihn eine steife Brise in die Irre. Dann gibt er ein Signal und hofft auf die Sehnotrettung. Gerät er in eine Flaute, taucht er seine Finger in die Wellen und wartet, bis sie eine Sehzunge ergreifen. Mit einer vollen Schatztruhe kehrt er in seinen Heimathafen zurück. Dort verteilt er Sehrosen an seine Liebsten und spinnt bei einem üppigen Mahl ausgiebig das Sehmannsgarn. Überschäumende Freude ereilt ihn, wenn er allein in der Camera oscura seine Meerlese sichtet. Ein traumloser Schlaf bringt ihm zuletzt die wohlverdiente Erholung. Doch sobald der nächste Morgen graut und Wind einen heftigen Sehgang verspricht, ertönt auch schon der Schlachtruf: Auf zu neuen Sehufern!                           Dieser Satz löst alle Leinen.

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