Tranches de vie XXVII oder: Die Wildnis der Pause

Tauge nichts!

 

Tja,

trinke Bier oder Wein und mache die Leinen los, schau’ dem Liebesmobil nach oder bohre dir mit dem Zeigefinger in der Nase, versuche zu dösen unter dem lichten Wäschesegel im Garten, doch Geräusche perforieren die Stille, dazu das unerbittliche Läuten der Glocken der Andacht, es ist ein Graus, aber da, endlich, taucht die schwarze Mähne von Eli auf, zu der du hinschaust, ohne auf eine Erwiderung zu warten, dein Magen knurrt und ein närrisches Kind krakeelt, dir ist, als kostest du etwas, das in Gänze nicht eintrifft, denn die Verlosung hat noch nicht begonnen, du musst selbst großzügig zu dir sein, um die G r e n z s t e i n e zu verrücken,

tja,

denn unaufhaltsam kommt die Zeit des finalen Flügelhemds näher und du verschwitzt jede Nacht die Bettlaken, am Morgen weckt dich bisweilen ein Spatz, der an die Scheibe klatscht, du steigst in den Tag hinab, du blökst, irrst, fieberst, bis du den elektronischen Kummerkasten erreichst, um ein paar Sätze zu tippen, solche, welche die Zwietracht nicht kitten, sondern mit heißer Nadelspitze aufspießen,

tja,

und wenn das Mausen nichts mehr bringt, kannst du die Katze häuten, da helfen keine verregneten Sonntage, an denen du liegen bleibst, mit der Erwartung, in dieses Leben doch noch hineinzuwachsen, aber ohne Aber kommt man nicht aus, und so klaubst du deine Sinne zusammen und richtest sie auf deinen Darling, dem du noch einmal die Sporen geben willst, bis alle Zügel reißen und jetzt Jetzt ist, doch es kommt nicht dazu, vergebliche Liebesmüh auch das,

tja,

die Wolken ziehen weiter, die Blätter färben sich, es wird früher dunkel, du sammelst Grablichter und stellst sie ins Fenster, du bist allein geblieben nach einer langen Partie, bei der du deinen Namen vergessen hast, der nicht wieder kommt, du wirst wohl nachsitzen müssen, bis auf der Tafel etwas erscheint und du es verstehst und weißt, dass ein Verzicht mitunter reicher macht, und nicht mehr weiter zu wissen auch dazu führen kann, wieder auf Tour zu gehen, einerlei, wohin und zu welchem Ende, Hauptsache mit einem Gefährt unterwegs, du steigst ein und braust los, und schon miniaturisieren sich die Orte im Rückspiegel, du bist wieder auf Montage, und jede langgezogene Kurve verspricht dir eine Aussicht, auf die du lauerst, das Tempo darf nicht hoch sein, weshalb du runter schaltest, immer langsamer wirst und endlich an einem entlegenen Ort zum Stehen kommst, wo die Zeit stillzustehen scheint,

tja,

dann bereite dir ein Basislager, pausiere und leere deine Speicher, damit vieles sich auf und in dir niederlässt, versiegele deine Lippen, vertraue der Göttin Spleen, justiere deine Aufmerksamkeit und verschiebe dich innerlich, suche keine hintersinnigen Botschaften oder Zeichen, sei nur wachsam und warte, nimm wahr, horche, und bleibe offen für alles, was dich auf leisen Sohlen heimsucht, konserviere diese denkmalgeschützte Haltung und kontempliere, bis die Wirklichkeit und die Wörter zwei Paar Schuhe sind, es kostet dich ja nichts, und doch streichst du in solchen Momenten, wenn sie glücken, vielleicht den Überschuss einer Erfahrung ein, die dir eine Verschiebung der Perspektive oder eine klitzekleine Übertreibung bietet,

tja,

doch solches Verweilen in Intimsphären hält nie lange an, immer nahen die Nöte, die Zwickmühlen, die Eilmeldungen, die Phrasen, der Argwohn, der Lebensernst, und das Silentium ist vorüber, doch du willst noch nicht übersetzen, nein, du bleibst bei deiner Mission und schaltest alle Sicherungen aus, du lehnst dich zurück, siehst eine kleine Spinne an ihrem Faden baumeln, direkt über deinem Gesicht, du beachtest sie nicht weiter und drückst mit der Zuversicht eines Gläubigen auf die Playtaste, damit die Partita Nr. 1 vom Heiligen Johann, gespielt von Grigory Sokolov, dir eine wahre Freude schenkt,

tja,

mehr innerer Frieden als vom Erklingen des ersten bis zum Verhallen des letzten Tons wird dir nicht oft beschieden sein, und es kann passieren, dass du von diesem Flug nicht sofort zu dir zurück kommst und für eine geraume Weile durch Regionen mäanderst, wovon es keine Ansichtskarten gibt und an denen sich die Geister scheiden,

tja,

und schlussendlich erwachst du doch und bist retour, der K l e i n e G r e n z v e r k e h r ist vorbei, du schüttelst dich und drehst weiter gebührenfreie Runden, verbringst deine vielversprechenden Dates in einbruchssicheren Luftschlössern, du bist und bleibst ein Flaneur auf Nebenwegen und pflanzt dich in Notaten fort, die für dich zu einem mitlaufenden Imaginarium geworden sind, du sammelst sie und wirfst sie als  Flaschenpost ins Web, und wenn keiner sie findet, so trägst du das mit Fassung,

denn es ist allein der Wurf,

der zählt

Dieser Beitrag wurde unter Fotos, Texte abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort auf Tranches de vie XXVII oder: Die Wildnis der Pause

  1. U sagt:

    BACH zum Nachhören:

    https://www.youtube.com/watch?v=HJ562YvwrFw

    Und zum mitlaufenden Imaginarium noch dies schöne Zitat von Alban Nikolai Herbst:

    „Für den poetischen Prozeß ist dergleichen selbstverständlich wichtig, ja unumgehbar, um zu kapieren, daß auch unser Nahstes, wenn wir schreiben und eben auch veröffentlichen wollen, ein pures Material ist, das wir zu behauen, zu feilen, zu schmieden und zu schmirgeln, zu formen also, haben. Was wir hinausgeben, ist nicht mehr unsres, löst sich von uns ab, bis es fremdkristallen dasteht. Sie wissen, Freundin, ich nenne dies den perversen Prozeß, weil in der Kunst eben auch unser Schmerz, selbst der tiefste, nichts als ein Material ist, das, gelingt die Formung, unversehens s c h ö n wird. Und, als aber eben Fremdes, b l e i b t.“

    U

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert