Die Schwebe des Möglichen

Ein Besoffener geistert durch die Straßen, während drinnen im Bett die letzte Tonspur eines Traums ihn dazu bringt, unverzüglich auf den Flokati zu hüpfen und dabei laut vernehmlich eine vermutlich gerade erst empfangene Botschaft zu verkünden: Das Entgleiten lauert überall

Am Tag wenden sich so viele Zeiten und Seiten in seinem Kopf, dass er abends am Spiegel grußlos vorübergeht und sich vornimmt, seine Geschäfte in den nächsten Wochen rückwärts abzuwickeln

Draußen spielt sich derweil ein unbekannter Plot ab: ein Rauschen, törichte Rufe, dann ein Knall, dem nichts mehr folgt. Endlich kann er seinen feuchten Mund halten. Er nimmt ihn ab und hängt ihn zum Trocknen ins Bad. Dort tropft er auf die Fliesen wie ein nasser Lappen

Der Haussegen kracht runter. Die Neider beschweren sich erst, als das letzte Wort verschoben wird. Er sitzt auf schmalem Grund und liest von einer Zeit, die ihm aus der Hand frisst. Das erste Licht tritt durchs Fenster ein und die Landschaft reist an ihm vorüber

Er schaut den neuen Tag an, wie er hin und her wackelt. Überall flimmern Pornostreifen. Er darf nicht nachgeben, das Mumiengeschubse wird schon ein Ende haben. Zettbeh, da hinten, der metageile Po, der sich ihm bietet: allein sein Anblick wirkt so schwerkraftmindernd wie das Lesen eines Märchens

Dann kehrt ein Blinzeln die Szene um. In seiner Pupille glüht ein Stern, der nicht erlöschen mag. Die dritten Zähne sollen warten. Am Himmel ein Bildersturm mit Wolken und ein Schwarm von Staren. Er findet keinen Gefallen an den Lügen über das Gesunden alter Lenden. Verkackeiern kann er sich selbst. Einzig Dialogwitz könnte die Situation jetzt noch retten

Ohne Vorwarnung zieht der Morgen um. Er bleibt zurück und pflanzt sich auf die Ruhebank. Nimmermüde lässt er seine Beine schaukeln. Da kommt ein Tröster vorbei und brennt ein Streichholz direkt vor seiner Nase ab. Das Pathos der lichterlohen Flamme erheitert ihn. Hinter dem Horizont taucht prompt ein azurnes Schmunzeln auf. Endlich ist Amourette Trumpf

Kaum birgt er eine ihrer Warzen in seinem Gaumengewölbe, ringelt sich vor ihnen eine Mininatter. Am Rand ihres Lächelns müffelt seine linke Achsel, und schon klafft ein Abgrund dort, wo sonst ihre Zehen sich näher kommen. Ein Hufschlag später feiern alle zwischen ihnen gewechselten Worte fröhliche Urständ. Zuletzt treffen ihre Hände sich im fahlen Licht der Stunde Null, und ihre Lippen finden die richtigen Adressen. So und noch ganz anders ist es, wenn sie alle Warnungen in den Wind schlagen

Grillen zu füttern, bleibt sein tägliches Motto. Eine Chaosmose der Sätze: Das Alphabet franst aus, der Wind treibt Musik zwischen die Buchstaben, kein blasser Schimmer fliegt über die Wörter hin, jenseits des Sinns zittert der doppelte Boden, und am Spiegel halten sich die überfälligen Silben auf und warten. So tun sich ungeahnte Tiefen auf, und er will in unbekannte Fernen eintauchen

Und dann?

Ja, dann legt er sich bündig an den Rand des Wahns, glotzt in den angeschlagenen Himmel und befreit sich vom törichten Deuten. Ein Schwindel erfasst ihn und nur langsam löst er seine Fäuste, damit Wind zwischen die Finger fahren kann. Dann wartet er auf eine Umkehr, eine Verwicklung, eine Trendwende. Aber nichts geschieht, und der graue Himmel fragt sich, ob er die Sonne durchbrechen lassen soll. Vielleicht kommt ja noch etwas auf leisen Sohlen daher. Oder eben nicht. Und so lange bleibt alles, wie es nie werden sollte

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