Extemporalien in Dosen oder: Schreiben aufs Geratewohl

Ich saß coronahalber auf meinen vier Buchstaben und ging in meinem Kopf fremd. Dort erschienen mir Sätze, die sich unaufgefordert vermehrten. Ich gab ihnen Nummern und doste sie ein

Dosis VI

51 Der graue Himmel fragt sich, ob er die Sonne durchbrechen lassen soll. Im Kummerfeld zwischen den Ahnen schöpfen wir unterdessen aus der gemeinsamen Grube Stoff fürs Schreiben. Im Hintergrund intoniert das Handstreichorchester ein Lento assai

52 Draußen verklingen die letzten Silben, und kein Dichter garantiert mehr kalte Phantasien. Bläulich schimmert der Blick von den nahverwandten Menschenkindern, denen der Luftmangel allerhand zumutet, nur der Boss diktiert die Reihenfolge der Ereignisse, und die Dichte freundlicher Lamellen verzögert das Eindringen der Sonne. Hinausgehauen mit feuchten Fingern zittern die Buchstaben überm Blatt: ESHATMICHERWISCHT

53 Das letzte Blinzeln kehrt den Sinn um. In der Pupille glüht ein Stern, der nicht erlöschen mag. Am Himmel ein Bildersturm mit Wolken und ein Schwarm von Staren

54 Blütentriller verklingen im Sonnenschoß, Windrufe treiben ins Himmelsnetz, Schattenpilze zappeln in unsicheren Verhältnissen, Kullertränen zittern im Blickwinkel

55 Ich habe Glück, denn mein Mörder verpasst mich, auch der Kampfhund von nebenan trottet an mir vorüber, ohne mich zu beachten, der Wahnsinn befällt andere, die gefährlichen Frauen lassen mich links liegen und ich bleibe von Irren verschont, werde weder vergewaltigt, ausgeraubt noch gefoltert oder überfahren, und die Äxte in den Händen derer, die Übles wollen, bleiben ungenutzt, sobald ich im Takt stammle: Laben Loben Lieben

56 Gestern, beim Eintritt in die seit Wochen verwaiste Wohnung, drängte sich ein Geruch auf, der mir wie eine vertraute Kontaktspur in der Luft vorkam

57 PaniKa passiert im Schnelldurchgang die Straßen, übt hier und da ihren Gesang auf Plätzen, die mit rotlappigen Blumen in Würfelbottichen verstellt sind und spielt die joviale Fremde, der niemand etwas anhaben kann. Die Worte Heimat und Schwermut klammert sie aus

58 Im Inneren des Traums bietet sich mancher Satz feil, der mit seinem schrägen Sinn die Phantasie kitzelt: Im Wind kann man nicht hausen

59 MissBildung hinkt Tag für Tag an meiner Loggia vorbei und hofft, von niemandem gesehen zu werden. Ich halte mich bedeckt, merke aber, wie es in ihr tobt. Eine Stimme aus dem Off zählt unnachgiebig die Hürden, die sie nicht nimmt

60 In der Nacht fiel der Mond aus. Mit kleinen Schritten gingen wir Hand in Hand durch die Finsternis. Ein Schwindel erfasste uns und nur langsam lösten wir die Hände, um endlich den Wind zwischen die Finger fahren zu lassen. Dann warteten wir auf eine neue Wendung, eine Verwicklung, ein Etwas

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