Itzt lacht das Glück vns an / bald donnern die Beschwerden
I
Einst regnete es im Schlaf
und ich schwamm durchs hohe Gras
Heute kommen die Abende früh
und ich bade in trüben Gewässern
Einst schmierte ich die Zahlen
und trat mir ins Kontor
Heute tappe ich lustlos umher
und leiere stets das Gleiche
Einst zog ich das große Glückslos
und gebar die grüne List
Heute hocke ich zwischen den Wänden
und die Augen wachsen zu
Einst applaudierten mir die Nachbarn
und ich poppte reife Püppchen
Heute liege ich im Argen
und keiner zollt mir Respekt
Einst grüßte mich der Tag
und ich lockte mit zarten Avancen
Heute kommt rasch die lange Weile
und ich kippe um ins Leere
Einst kläffte ich mit großem Groll
und alles verging im Nu
Heute spiele ich den eitlen Trickser
und kein Dämon flötet im Kopf
Einst kochte ich den Schmerz
und die Luft war voller Echos
Heute fällt das Licht ins Abseits
und ich vermickre im Perdu
Einst gedachte ich der hehren Liebe
und zehrte vom reinen Märchenglück
Heute häufen sich die Schattenpleiten
und ich matche trübe Tassen
Einst überbot ich jeden Masterplan
und löste alle Wechsel ein
Heute verstummen die Adepten
und ich extemporiere heiße Luft
Einst schlug ich die Zeit tot
und log die Wörter ums Eck
Heute lande ich im Kauderwelsch
und die Phrasen nehmen überhand
Einst beherrschte ich die Mienen
und pisste aufs kleine Schwarze
Heute fällt jeder Clou in den Fettnapf
und ich lande im ewigen Verhör
Einst verzweigte ich mich ins Allerlei
und stieß Jasminduft aus
Heute sitze ich auf der Nadelspitze
und träume von Donna Bella
Einst kurvte ich im Luftraum
und verlor leicht meine Fassung
Heute drehe ich linkisch Däumchen
und pinkle in tote Winkel
Einst war mein Trachten unermesslich
und nichts stammte aus zweiter Hand
Heute verfehle ich das Weite
und jede Fabel bleibt aus
Einst küsste ich den Meeresstrand
und duzte die mutigen Wellenreiter
Heute weise ich alle von mir
und zahle dennoch die Zeche
II
Einst gab es keinen Ort mit Pech
und ich schoss aus vollen Rohren
Heute sitze ich im Fett des Alters fest
und die Muskeln zucken träge
Einst stolzierte ich in praller Sonne
und reifte im Zwielicht nach
Heute lehne ich an schattigen Mauern
und ringe um ein bisschen Luft
Einst besaß ich Lizenzen zum Phantasieren
und drang überall ungeschoren ein
Heute vertue ich nutzlos die Zeit
und äußere nur noch schale Binsen
Einst verrückte ich die Sätze
und musizierte wild mit Tönen
Heute hänge ich in den Zeilen
und die Uhr tickt neben den Zähnen
Einst frottierte ich im Akkord
und checkte jeden Schenkel
Heute fliegen keine Fetzen
und ich gebe kleinlaut bei
Einst war ich beinah verlässlich
und keine Gelenke knackten
Heute rascheln nur die Kopfnüsse
und ich öffne kaum noch Nähte
Einst studierte ich die Fabelwelten
und reüssierte als Debütant
Heute bleiben die Barbaren aus
und ich hoffe auf kein Beben
Einst flipperte ich mit meinen Augen
und die Bilanzen lagen blank
Heute ziehen die Zeichen vorbei
und ich löse kein Versprechen ein
Einst war ich ohne Scham
und voll der inwendigen Lust
Heute bin ich aller Gnaden ledig
und Falten furchen die hohe Stirn
Einst wurde ich mit allen Wassern gewaschen
und die Sonne trocknete die Säume aus
Heute nehme ich keine Termine wahr
und stehe als Ladenhüter vor den Toren
Einst kam ich nackt ins Bett gekrochen
und pellte sie aus den Laken
Heute bedecken uns die milden Daunen
und ich salze das Lager mit Tränen
Einst träumte ich von steifen Brisen
und Eicheln platzten zur rechten Zeit
Heute fließt ungebeten der Speichel
und ich kehre in die fade Hölle ein
Einst grünte ich auf luftigen Auen
und nichts hatte klare Umrisse
Heute wälze ich Steine im Gras
und kampiere in dunklen Höhlen
Einst saß ich an der Tafelrunde des Eros
und setzte alles auf Sieg
Heute trete ich nervös auf der Stelle
und bestreue die Glieder mit Asche
Einst vergaß ich mehr als ich wusste
und hörte die Gräser wachsen
Heute stecke ich im Schwindeln fest
und mariniere die Erinnerungen
Einst hatte ich sieben Schwestern
und sang mit ihnen heiße Lieder
Heute spitze ich die Lippen zum Spiel
und verpasse jedes Date
Einst verbrachte ich leichtgewichtige Sommer
und stolzierte im Dreivierteltakt durchs Feld
Heute stehen die Engel in zugigen Höfen
und ich sitze auf dem Trockenen
Einst bröckelten keine Ideale
und genial war jede Sause
Heute stecke ich in den Fakten fest
und den Rausch gibt’s nur in Maßen
Einst missbrauchte ich Substanzen
und kannte kein Wimmern
Heute schleiche ich dankend ab
und bereise die Welt in Textouren
Einst beglückte ich windstille Heimchen
und lockte Buchstaben in den Hinterhalt
Heute döse ich in der Kuhle des Divans
und lasiere im Traum sanfte Kurven
Einst liebte ich die Schwergeburt
und flirtete mit dem Abusus
Heute luge ich durch den Fadenschein
und leide an meiner Wurstigkeit
III
Einst taugte ich nichts
und las um mein Leben
Heute lausche ich ins Grüne
und treffe nur auf lose Mundwerker
Einst kannte ich kein Enden
und es juckte in jedem Finger
Heute rolle ich nur noch rückwärts
und Expandieren ist out
Einst schwor ich keinem Projekt ab
und faxte Losungen ins Nebenbei
Heute lecke ich meine Wunden
und tue hinter blinden Fenstern nix
Einst kannte ich keine Preise
und blieb in voller Spannung
Heute trickse ich die Währung aus
und hisse weiße Fahnen
Einst liebte ich die Summa
und vergab nicht das geringste
Heute beharre ich auf den Details
und traue mir nur an schlechten Tagen
Einst flötete ich im Garten
und ließ den Salbader wachsen
Heute tröte ich im Geheimen
und habe das Beste hinter mir
Einst rannte ich jedem Blickfang hinterher
und begehrte die Eigengewächse
Heute beginnen die Tage mit Schrecken
und ich lebe in einem Intermezzoo
Einst ergraute ich ohne Hintersinn
und achtete jedes Omen
Heute meide ich gefundene Fressen
und spritze ab ins Klo
Einst hatte Nacktheit Stil
und Reibung brachte Rhythmus
Heute tanze ich öde Standards
und nichts ist der Mühe wert
Einst schwebten Engel über der Druckerschwärze
und der Himmel war aus Papier
Heute bleibt ein jeder in seinem Rahmen
und ich auferstehe täglich mühsamer
Einst feierte ich stille Siege
und war vom Alltag angeheitert
Heute muss ich bei allem zweimal bitten
und kein Schmunzeln zeigt sich für lau
Einst staunte ich mich heiter
und in allen Fugen fegte frischer Wind
Heute breche ich jedes Scherzo ab
und die Dramen nehmen zu
Einst lobte ich die Erschöpfung
und gab den Schemen sicheres Geleit
Heute weise ich alles Verschlossene von mir
und ersetze Erotik durch Methodik
Einst nahm ich nur gereimte Akten zur Kenntnis
und träumte von ungeheuren Chroniken
Heute singe ich klägliche Lieder
und knacke mürbe Geheimnüsse
Einst rührte ich den Donner
und lupfte ein jedes Rätsel
Heute falle ich unverrichteter Dinge aus
und ernte synergetische Defekte
Einst ging ich auf den Strich
und hielt mich gerade bis zum Horizont
Heute streune ich in Serpentinen
und verliere mich Hals über Kopf
Einst hausierte ich mit imperialen Trieben
und ließ keine Gelegenheit aus
Heute krieche ich auf allen Vieren
und die Wünschelrute schlägt nimmer aus
Einst schlief ich mit Rhabarbara Baiser
und ergab mich ihrem Gliederlösen
Heute bin ich ein Amor fou
und die Sehnsucht kommt als Seitenstich
Einst trank ich ein Quäntchen zu viel
und erduldete klaglos jeden Kater
Heute sehe ich anderen beim Saufen zu
und extemporiere über Giftstoffe
Einst kamen auf jede Laus zwei Buben
und ich zauderte bei keiner Verlockung
Heute gibt es kaum noch frivole Momente
und ich drohe im rechten Maß zu erstarren
Einst bot der Alltag Glanz genug
und ich unterhielt mich blendend
Heute entgleise ich nur selten
und die Selbstaufgabe ist passé
Einst war ich Dauermieter im Haus der Nöte
und alles reimte sich auf Klage
Heute ist mir selbst die Bitternis zu fad
und ich sage allen Balladen ade
IV
Einst pflegte ich das süße Nichtstun
und trottete im trägen Blues
Heute setze ich Staub an
und es geht der Wind darüber
Einst pushte ich winzige Illusionen
und radierte Zweifel in Windeseile weg
Heute wache ich fremdelnd auf
und schlage im Handumdrehen Wurzeln
Einst gab es ein Kommen und kein Gehen
und ich hatte das Leben an den Eiern gepackt
Heute reißen die mürben Hoden
und ich mutiere zum alten Sack
Einst war ich ein Heißsporn
und brauchte keinen Joker
Heute schiele ich ins Dekolleté
und verpasse jeden Stichtag
Einst schoss ich durch grüne Wellen
und rot glühte mein Schopf
Heute stoße ich die Völlerei von mir
und jedes da capo bleibt aus
Einst hatte ich kein Kalligramm zu viel
und mein Umriss war ohne gleichen
Heute sitze ich in meinem faulen Atem fest
und jeder Schritt tut weh
Einst irrte ich durchs helle Licht
und keines Gedankens Blässe trübte die Sicht
Heute falle ich unversehens in den Schlaf
und alle Lebensträume sind perdu
Einst betörten mich die Projektionen
und ich übte seltene Dialoge
Heute poliere ich den Himmel
und keine Lichter blitzten
Einst drückte ich willig junge Daumen
und kein Wunsch blieb ungesagt
Heute zetere ich ins Nebenher
und die Tage tragen Trauerflor
Einst ging ich berauscht zu Bett
und feierte fröhliche Urständ
Heute wippe ich talentlos mit
und genieße die Lust an sich
Einst übermannte mich der Gegenwind
und ich war zu Tränen gerührt
Heute rieselt leise der Putz
und ich schleiche übers Los zurück
Einst heftete ich meinen gesammelten Unfug ab
und war beinah unverbesserlich
Heute komme ich mir nicht auf die Schliche
und quittiere Geschehenes mit Verschweigen
Einst rasierte ich ein langes Frauenbein
und vertraute auf höhere Wesen
Heute sitze ich fest in der Misere
und winde mich in epischer Breite
Einst standen die Chancen Schlange
und ich schnappte wie ein Türschloss zu
Heute flechte ich die Nasenhaare
und Schemen zittern vor den Augen
Einst spukte es in meinen Träumen
und ich fiel freudig unter die Diebe
Heute hoffe ich auf einen Coup de grace
und ernte nur das übliche Etcetera
Einst spannte sich ein hoher Himmel über meine Lenden
und ich gönnte mir stets ein Happyend
Heute gibt es keine Gründe mehr zum Wundern
und ich ähnele einer Leiche in spe
Einst war ich aller Bedenken ledig
und kein Blatt kam mir vor den Mund
Heute pfeife ich auf dem letzten Loch
und fahre kaum noch aus der Haut
Einst verfiel ich bei jedem Staubkorn dem Glauben
und die rechten Worte für mein Staunen trafen ein
Heute verschieben sich stets dieselben Kulissen
und ich ergebe mich der Resignation
Einst zündeten Gedankenfunken unter meinen Lidern
und das Niemandsland des Traums war offen
Heute bleibt die innere Mongolei verschlossen
und ich kapituliere vor den Massiven des Schlafs
Einst brüllte ich Gedichte in den Wind
und tummelte mich auf tollen Seiten
Heute reite ich auf dem Rücken eines Buches
und keine Zeile weist mir den Weg
Einst fickte ich die Dinge mit meinem Blick
und ein sattes Kommen füllte mich aus
Heute kann ich kaum den müden Augen trauen
und jedem Anfang folgt sogleich sein Ende
Einst passten die Tage wie Arsch auf Eimer
und ich wusch meinen Kopf mit reinem Wein
Heute schreibe ich Postkarten meiner Malaisen
und sondiere die Prosa des Alltags
Ja das Alter ist ein Arschloch. Ich komme auch immer schlechter zurecht mit dem Kollegen.
Kleiner Tipp: Nasenhaare flechten im Dreadlockstyle.
Nicht wenige deiner Sätze kann ich unterschreiben, und es ärgert mich. Ist ja immer das gleiche: Sobald man von seinem Dilemma woanders liest, möchte ich aufspringen und rufen NEIN!
(„Einst heftete ich meinen gesammelten Unfug ab
und war beinah unverbesserlich
Heute komme ich mir nicht auf die Schliche
und quittiere Geschehenes mit Verschweigen“)
Respekt für den Bauchnabel. Er zeugt von einer aktuellen Radikalität.
Ja: „Wer das Alter preist, hat ihm noch nicht ins Gesicht gesehen.“ (Noberto Bobbio)
Das Schlimme ist, wenn man erstmal anfängt (schreibend) zu lamentieren und das Selbstmitleid tritt unschön hinzu, dann gerät man (ich) leicht in einen Flow, einen Abwärtssog, und man kann gar nicht mehr aufhören, eine Lust am Vermickern und Verwörtern setzt ein, aus der nur Humor heraushelfen kann.
Ja, der Bauchnabel. Der ist eine kleine Höhle geworden, in der ich bisweilen Staubmäuse finde. Auch eine Alterserscheinung?!
U
Den Balladen ade sagen?
Niemals!
Viele Grüße & weiterhin sichere Straßen, Fritsch.
Du natürlich nicht.
Du machst Songs daraus. Balladen, meist. Was bleibt, sind unsere Lieder.
Gruß
Uwe