Weißt du noch: der erste Tag, der wie ein Wachtraum verging
Weißt du noch: das Rauschen, der Wind, und jede Welle, die an unseren Füßen leckte
Weißt du noch: die kleine Schar von Strandläufern, die uns am Ufer hektisch vorausliefen
Weißt du noch: das frühe rosige Licht, wie es ausgegossen auf dem Wasser lag
Weißt du noch: der Übermut, der uns an einem bedeckten Tag erfasste, als ein Sonnenstrahl durch die Wolken brach und uns traf
Weißt du noch: wie wir an einem Morgen in den Dünen die Luft frühstückten
Weißt du noch: wie taub unsere Gesichter sich anfühlten, als der heftige Gegenwind endete und uns das Gehen plötzlich so leicht fiel
Weißt du noch: wie sich die Sinne erholten im wiederholten Blick auf Wellen, die auf Wellen folgten
Weißt du noch: wie jeder Schreck sich verflüchtigte, als nur noch die Stimmen tobender Kinder an unsere Ohren drangen
Weißt du noch: der Tag, an dem dein Haar jede Ordnung verlor und ich meine dunklen Gedanken
Weißt du noch: wie wir das Himmelsblau für spätere Zeiten sammelten
Weißt du noch: als ich das Meer für lau an Bedürftige vermieten wollte
Weißt du noch: dass ich an einem glänzenden Morgen versuchte, mit deinen Augen den Tag zu vergehen
Weißt du noch: diese Frau am Ufer, deren Fistelstimme in unseren Ohrmuscheln zurückblieb
Weißt du noch: wie spendabel das Wetter Tag für Tag war
Weißt du noch: dass die Sonne jeden Gang hinaus zu einer Partie Licht werden ließ
Weißt du noch: wie ich beim ersten morgendlichen Blick ins Freie die Traummühen der Nacht vergaß
Weißt du noch: die gespannten Schnüre an den Angeln auf der Seebrücke und wie ein Glöckchen den Fang ankündigte
Weißt du noch: die Verlassenheit der zerbröckelten Sandburgen am Morgen
Weißt du noch: die vertrödelten Stunden am Strand und wie uns die Worte fehlten für etwas, das vor uns lag
Weißt du noch: wie das Meer uns blendete und wir mit geschlossenen Augen stehen blieben und ruhig atmeten
Weißt du noch: die Schreie der Möwen, wie sie die Luft zerschnitten
Weißt du noch: wie sich abends die Worte erschöpften und wir trotzdem sprachen
Weißt du noch: wie wir stundenlang in Blicken wohnten
Weißt du noch: wie eine Morgenröte unseren Erwartungen sekundierte
Weißt du noch: das Kind, das uns am Strand singend im Gegenlicht entgegenkam
Weißt du noch: die Lust, die mich überkam, als du vor meinen Augen zur Ruhe kamst
Weißt du noch: wie scharf die Kontur der Abbruchkante an der Steilküste in den Himmel schnitt
Weißt du noch: die Lebensgefahr, die an den Klippen drohte und die niemand beachtete
Weißt du noch: die Momente der unentschuldigten Abwesenheit, die wir uns im Rücken der anderen gönnten
Weißt du noch: die fröhlich-bunten Graffiti, welche die Bunker in den Dünen bedeckten
Weißt du noch: wie uns die Gedankenlosigkeit, in die wir mitunter verfielen, nicht mehr schreckte
Weißt du noch: die Farben, wie sie mit jedem Move des Lichts unserer Sehnsucht Nahrung gaben
Weißt du noch: wie wir jede Schwere verloren zu haben schienen, so geringfügig waren die Zumutungen des Alltags
Weißt du noch: wie wenig wir wissen wollten, um weiter im Nu zuhause zu sein
Weißt du noch: wie lecker der Fisch schmeckte, den wir an meinem Jubiläumstag aßen
Weißt du noch: die Windflüchter, die uns beim täglichen Spazieren grüßten
Weißt du noch: die schweren Gerüche in den Pappelwäldern
Weißt du noch: die Gespräche, die wir so führten, dass sie möglichst offen endeten
Weißt du noch: die vielen Umarmungen, die uns an ein verständiges Leben glauben ließen
Weißt du noch: wie die Worte, die wir tauschten, uns heim leuchteten
Weißt du noch: wie wir am Abend einander die vergangenen Stunden schenkten, bevor das Narkosen begann
Weißt du noch: wie ich lachte, als du mich im Laufdress am Hohen Ufer sahst
Weißt du noch: die Kälte des Wassers, wie uns der Atem stockte, und danach das Glühen der Haut
Weißt du noch: die Träume, in denen sich Türen öffneten zu immer mehr Meer
Weißt du noch: wie beim endlosen Wiegen der Wellen das Schauen ohne Deuten begann
Weißt du noch: wie das Rauschen nachts sich im Kopfmeer fortsetzte
Weißt du noch: wie wir offenen Auges am Strand stehend in den Horizont schwammen
Weißt du noch: die leichte Brise, die sich wie eine Federboa auf uns niederließ
Weißt du noch: dass wir uns täglich die Hände reichten und langsam wandernd dem Meer unsere Aufwartung machten
Weißt du noch: wie die Tage sich glichen, ohne einander zu ähneln
Weißt du noch: wie freimütig ich minutenlang von einer möglichen Zukunft sprach
Weißt du noch: wie beim morgendlichen Anblick des ausgeschlafenen Meeres alle Verheerungen ausblieben
Weißt du noch: dass eines schönen windstillen Morgens das Meer wie gemalt da lag
Weißt du noch: die Stunde, in der unser Altern aussetzte
Weißt du noch: der Stimmenlärm der Putzfrauen am frühen Morgen, durch den wir geweckt und wieder zu einem gemeinsamen Leben angestiftet wurden
Weißt du noch: das Spazierensehen am Sternenhimmel über dem nächtlichen Meer
Weißt du noch: wie uns die Fragezeichen in unseren Gesprächen ausgingen
Weißt du noch: wie schön du warst in der Dämmerung des letzten Abendspaziergangs
Weißt du noch: wie wir an einem Nebeltag ohne Furcht weiter räsonierten
Weißt du noch: als meine Mutter gefragt wurde, ob sie sich erinnere, mit „Ja, woran denn“ antwortete
Weißt du noch: die Nonnengänse am Bodden, wie sie lärmend aufflogen, als ein Seeadler sich näherte
Weißt du noch: dass ich mir in meinen Selbstgesprächen kaum ein Wort glaubte
Weißt du noch: wie wir täglich das Entkommen „fürs erste“ genossen
Weißt du noch: wie ich im Blick auf das permanent veränderliche Meer vom Anverwandeln und Verschwinden schwadronierte
Weißt du noch: wie wir den ambivalenten Überschwang der Urlaubszeit in uns spürten
Weißt du noch: welche zarte Transparenz die Himmelsfarben am Morgen über dem Horizont hatten
Weißt du noch: der Tag, an dem ein Wetter herrschte, wie es im Buche stand
Weißt du noch: die Ausdrücke, die wir uns zuriefen, als die Sonne so prächtig aufging, als ob sie Tote auferwecken wollte
Weißt du noch: das Wrack am Strand, das uns die ungestüme Gewalt des Elements zeigte
Weißt du noch: wie wir alle im Stich ließen, damit sich noch einmal der Augenblick und unsere Liebe reimten
Weißt du noch: wie ich angesichts der tagelangen Sonnenscheinherrlichkeit das Pathos schätzen lernte, mit dem dieser Farbfilm de Luxe zu beschreiben wäre
Weißt du noch: wie ich vertieft war in ein Buch, das von „Musikophilie“ und den neuronalen Grundlagen der musikalischen Wahrnehmung handelte
Weißt du noch: wie wir in unserem Luftschloss über der plan geschliffenen O-See residierten
Weißt du noch: wie uns trotz des in den Nachrichten allgegenwärtigen Unheils das kleine Glück statthaft erschien
Weißt du noch: wie vielfältig die Lektionen im angewandten Sehen waren, die uns das Meer erteilte
Weißt du noch: wie lange die Weile wurde, als uns die Worte ausgingen, um sie einzufassen
Weißt du noch: wie uns die Lust am Flunkern überfiel, als wir vom Besuch im Kunstmuseum berichten sollten
Weißt du noch: die Zeile in einem Gedicht, die uns mahnte, dass ein gleichgültiger Blick schon ein Totschlag sei
Weißt du noch: wie unversehens sie vorbei waren, diese Tage eines zweiten Frühlings im Herbst
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