Lago di Como oder: Ruhe im Kokon

Damit ich behalte, was bleibt

Es war einmal, also gestern, da trocknete die Hitze alles Ungemach aus, das Baden im See glich einem Gnadenakt, und in der Dämmerung verschlug mir das Wechselspiel der Farben den Atem, während die Zikaden unermüdlich funkten …

Es war einmal, also gestern, da drehte ich beim Bergwandern einen Schweißfilm. Die Dramaturgie hatte einige Hänger, der Plot war mit Pausen durchsetzt, und das offene Ende zeigte mich, wie ich am Rande eines respekteinflößenden Wasserfalls erschöpft alle Viere von mir streckte.  Wegdämmern, Abebben, Versickern: diese Worte tanzten unter einem weiten Himmel vor meinen Augen. Alles schien vorbei -, bis am Abend auf weichen Kissen und mit Birra senza fine die wunderliche Rekreation des Eintagswesens einsetzte …

Es war einmal, also gestern, da begab ich mich auf eine Fahrt über den See. Gut belüftet von linden Winden kehrte ich in ein schmuckes Örtchen ein. Romanische Kirchen umfingen mich mit ihren stimmigen Proportionen und religiöse Fresken erhoben mein Gemüt. Mächtige Wolkenberge ruhten in Formation über den umliegenden Gipfeln, und trunken vom Blau blieb mir nichts zu wünschen übrig. Ohne Arg wandelte ich in einer Postkartenidylle und hoffte auf Winke des Zufalls …

Es war einmal, also gestern, da verlor ich mich an den „Traum des bloßen Daseins“. Tierisch faul lag ich im Gras, machte Augenpflege und ließ die schwülen Luftpolster sich an meinen feuchten Körper schmiegen. Ich bewahrte die Ruhe und die Sinneseindrücke passierten meinen Geist wie durch ein leeres Sieb …

Es war einmal, also gestern, da brachte der frühe Abend Abkühlung durch ein vorbeiziehendes Gewitter. Nieselregen, leichtes Donnern in der Ferne, ein langsamer Abstieg der Temperatur. Dann riss die Wolkendecke auf und die Sonne grinste nochmal hervor, der See hielt wieder Hof, und der Wind säuselte in den Bäumen. Alles wie gehabt -, und doch wie nie besessen …

Es war einmal, also gestern, da säbelte sich der Morgen ein Stück seines Charismas ab, um damit die Bedürftigen zu erfreuen. Nicht jeder wusste es zu schätzen, so dass sie andernorts die Zeit totschlagen mussten. Nur ich lobte die Vorsehung, durch die dem geborenen Musageten alles vor die Sinne fiel. Festina lente hieß das Motto, mit dem ich durch diesen Tag getragen wurde …

Es war einmal, also gestern, da war Breva unbekannt verzogen. Es wurde brütend heiß und an Bewegung war nicht zu denken, stattdessen gestattete ich mir ein seliges Dösen im Schatten, begleitet vom Zwitschern der Vögel und dem Rascheln der Eidechsen im welken Laub. Zuletzt schien ich das Gewicht einer Feder angenommen zu haben und segelte durch den blauweißen Himmel. Unter mir die silbern glitzernden Wellenkämme, vor mir nichts als offene Räume, gerahmt von einer Flucht samtig grün schillernder Bergrücken. War ich durch eine besondere Fügung unmerklich im Anderswo gelandet oder befand ich mich im Innern einer ungeheuren Gedankenblase …

Es war einmal, also gestern, da genoss ich treffliche Blicke, denen Mario Botta Andachtskapellen bauen müsste. Wolkenschatten zogen über den See, Boote schaukelten umher, Surfer zogen ihre Bahnen, Optimisten übten im Wind, Lichtblitze fegten über die Bergrücken, Böen signierten das Wasser mit wechselnden Mustern …, alles wie in Cinemascope, und ich saß auf unserer Terrasse und verfolgte das Schauspiel, das mich ob seiner flüchtigen Schönheit anrührte …

Es war einmal, also gestern, da nahm ich die Witterung einer hochgewachsenen Donnabella auf. Wie gerne hätte ich das an Verse gemahnende Schrifttattoo auf dem schmalen weißen Hautstreifen unter ihrer rechten Brust entziffert, dort, wo das Oberteil ein wenig hochgerutscht war, doch sie ging zum Greifen fern im Kreise ihrer plaudernden Begleiter und zeigte keine Regung gegenüber ihrem Verfolger …

Es war einmal, also gestern, da gewährte mir das Wetter ein zeitweiliges Glück im Winkel, wo ich in zielloser Muße unter Bäumen gehend und von würzigen Duftwolken umhüllt nichts anderes zu tun hatte, als mit den Augen dem dunklen Begleiter an meiner Seite zu folgen …

Es war einmal, also gestern, da verzehrten sich die Stunden in einer stehenden Hitze. Ich lag in der Splendid Isolation meines Schattennestes und horchte: fernes Glockengeläut, nahes Rascheln von Vögeln, leises Summen der Bienen, lautes Knacken des Holzes, sanftes Rauschen meines Blutes. Mehr brauchte es nicht für einen kurzen Frieden des Vergessens …

Es war einmal, also gestern, da ließ ich mich nicht zweimal bitten. Kaum war der Tag begonnen, warf er mich in die helle Bläue, aus der es kein Entrinnen gab. Endlich hatte die Zeit auch wieder ihre Launen: mal stockte sie, mal raste sie, und ich verfiel ihren wechselnden Tempi vollends. Angeheitert und müde zugleich wohnte ich am Abend auf der Terrasse dem Eindunkeln bei, die Sterne funkelten über mir und die Nachtluft trocknete den Schweiß auf meiner Stirn. Es durchfuhr mich ein Wohlgefallen an der fürsorglichen Güte meiner kleinen Welt, von der ich gleichwohl ahnte, dass sie schon vom nächsten Windhauch vertrieben werden könnte …

Es war einmal, also gestern, da war ich am Ufer des Sees meinen Augen erlegen. Die klare Luft ermöglichte ein Konturensegeln bis in die weite Ferne hinein, die Badenden willigten mit vitaler Freude hörbar in ihr Schicksal ein, und die Wolken zogen gleichmütig über die schneebedeckten Berge. Wohlig lehnte ich mich zurück und wurde von wechselnden Szenen und Bildern verkostet. Inmitten dieser badevergnüglichen Sonnenscheinherrlichkeit platzierte sich eine Frau in mein Sichtfeld und begann in einem Buch mit dem mir bestens vertrauten und geradezu sprichwörtlich gewordenen Titel zu lesen: „Ein Regenschirm für diesen Tag“. Kein schlechter Twist, dachte ich, dieser Anschlag auf mein „Vollglück in der Beschränkung“ …

Es war einmal, also gestern, da küsste mich eine unbescholtene Frühe wach. Das Licht breitete sich aus, der Wind strömte weich und warm, der See weckte alle guten Geister, ich setzte das Sonnensegel, und umschwirrt von Vögeln fuhr ich aus, um mich in  einem historischen Garten aufzuhalten. Dort herrschte die uneitle Selbstgenügsamkeit der geordneten Natur: die Bäume hatten exotische Ausmaße, die Blumen waren eine blühende Farbenpracht, die Aussichten über den See versetzten mich in eine festliche Ferne und die Düfte vollendeten mein ungläubiges Staunen. Wie von Sinnen bewegte ich mich auf gastlichen Wegen inmitten zahlloser admiradores, die ihr unverdientes Glück auch nicht fassen konnten. Ein Ausflug, wie geschaffen, um am Abend, versorgt mit schönen Eindrücken, sich gelassen zur Ruhe zu begeben. Und um dem Tag noch eine Krone aufzusetzen, träumte mir in der Nacht, ich striche ein Cello am Ufer des Sees bei Piona, wo eine Handvoll Schwäne friedlich gründelten …

Es war einmal, also gestern, da ereilte mich der Galgenhumor desjenigen, der weiß, dass das verfassungswidrige Ende der Ferien naht: „Nun vor sich keine neuen Wunder mehr / Und mit sich selbst allein, wie rau und schwer / War da der Heimweg zum gewohnten Ich!“ Dennoch sehe ich dem, was kommen wird, mit einem Lächeln entgegen. Es bleibt mir ja der Märchenton, mit dem ich diese gleichermaßen unabgeschlossenen wie anschlussfähigen Notate schrieb, und der sich einer Verwandlung verdankt, die mit derjenigen vergleichbar ist, die ein Insekt in seinem Kokon erfährt …

 

Dieser Beitrag wurde unter Texte abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten auf Lago di Como oder: Ruhe im Kokon

  1. Uwe sagt:

    Treue Leser meiner Prosa-Petitessen werden merken, dass ich hier einiges aus einem früheren Lago-Text übernommen habe: https://spazierensehen.de/2019/07/30/lago-oder-eine-zeit-in-der-helle/
    Aber solche „Herzensergießungen“ leben auch von Wiederholung und Variation.
    Uwe

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert