Extemporalien in Dosen oder: Schreiben aufs Geratewohl

Ich saß coronahalber auf meinen vier Buchstaben und ging in meinem Kopf fremd. Dort erschienen mir Sätze, die sich unaufgefordert vermehrten. Ich gab ihnen Nummern und doste sie ein

Dosis IX

81 Nicht anders als im Traum nimmt das Wohlbefinden zu, wenn das Reisen hilft, die Hoffnung zu bewahren. Je nach Art des Ziels, können die eigenen Ressourcen geplündert werden. Ohne die eigenen Grundsätze zu überdenken, bleibt man aber bis zuletzt vertraut ungnädig gegenüber dem Neuen

82 Jeden Abend drück‘ ich im Bett die Daumen, damit die Träume mich nicht fallen lassen. Unterstützend summ ich noch ein Lied, löffele ein wenig mit meiner Angetrauten und kuschele mich in die mit Glückssträhnen bestickte Decke. Anschließend können die Grünverschlossenen Botschaften kommen, inklusive kleinerer und größerer Unbequemlichkeiten

83 Solange das sprichwörtliche Pech an meinen Sohlen klebt, werde ich mit ziellosem Herumgehen kaum an Sozialprestige gewinnen. Lieber ruhe ich im Schatten von XXL-Dessous, die auf der Leine im Wind flattern, und kein noch so spannender Aufruf kann mich bewegen, einen Gang zu wagen. Ohnehin steht der Erfolg eines solchen Bemühens auf einem anderen Blatt, und wer geht an seine Leistungsgrenze, wenn das Zusammenspiel der Momente nur Leerläufe zeitigt. All dem ist nur mit Langmut zu begegnen

84 Warum hast du die Himbeerschnitte gegessen?, fragte die Tochter. Nur aus Jux und Toleranz! verkündete der Vater, der gerne delikate Scherze trieb, zumal seine Tochter gänzlich humorlos durch die gemeinsamen Tage ging, die sie am Meer unter haltlos grauen Wolkenbergen verbrachten. Zu ihrer Entschuldigung sei angemerkt, dass ihr in letzter Zeit unzählige abgeschmackte Jugenderinnerungen durch den Kopf stiebten, die sie in eine tiefe Krise stürzten, so dass selbst die bemühten Witzeleien ihres alten Herrn sie nicht ablenken konnten. Daher blieb ihr nichts anderes übrig, als auch diese humorige Reprise hinzunehmen und jeden möglichen Groll hinunterzuschlucken. Wollen wir hoffen, dass sie des Nachts nur von harmlosen Träumen heimgesucht wird. Alles andere wäre ein quälendes Psychodrama, Ausgang ungewiss

85 Durchdrehen, jede einzelne Szene, jeden Dialog, jede Wendung, jeden Cliffhanger, ja, durchdrehen bis zum Finale

86 Und dann? Beim besten Willen, ich weiß es nicht zu sagen, nichts weiß ich zu sagen, ein stummer Stammgast bin ich, den niemand bemerkt, skandalös unfähig, sich bemerkbar zu machen, ein Unbekannter, dem nichts passiert, der in Ereignislosigkeit versinkt und neuerdings von einem Gefühl der Genugtuung durchströmt wird, das ihm ein leises Stöhnen entlockt

87 Wie gern ich hier sitze. Alles ist so schön, still und leer. Die Zweifel rollen sich zu meinen Füßen ein, wo ich sie mit den Zehen berühre, hin und her bewege, bis sie die richtige Stellung und Form haben, um sie mit einem kräftigen Schuss ins Abseits zu kicken. Dort wechseln sie ihre Farbe, und nichts erinnert mehr daran, dass sie ein unverkennbarer Teil von mir waren. So finde ich Ruhe

88 Nichts ging mehr. Groß und breit stand ein Felsen vor mir. Kein Vorbeikommen war möglich, alle Wege waren versperrt. Ein Hindernis sondergleichen, ohne Vorbild und wie für die Ewigkeit aufgestellt. Ich trat näher heran und las das Wort, welches in massiven Lettern in den grafitgrauen Stein gemeißelt war: WICHSGRIFFEL Mehr ist mir nicht in Erinnerung geblieben. In der Früh wurde ich langsam, mit großer Übersetzung vernascht

89 Genügsam und mit einer liebenswerten Verschrobenheit spinnt er seine Verse, die ein überaus spannendes Netz von Verweisen knüpfen, in das er sich fallen lassen kann, wenn die Not überhandnimmt. Passiert es einmal, dass ihm nichts mehr einfällt, gräbt er mit taubenetzten Fersen den Kompost um und wartet ab, was geschieht

90 Grillen füttern, täglich. Eine Chaosmose der Sätze. Weit draußen franst das Alphabet aus. Der Wind treibt Musik durchs Gebüsch. Und manchmal zieht ein blasser Schimmer am Himmel entlang. Jenseits der Mauern zittert der doppelte Zungenschlag. Vielleicht hält der Spiegel die Silben bereit. Ansonsten müsste ich auswendig lernen, was die Finger im Zaum hält und ohne Hose ins Blaue kriechen. Das hätte immerhin Stil

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